Oftmals wird eine Systemaufrechterhaltung bei gleichzeitigem Veränderungswunsch als „Stagnation“ interpretiert und damit als „Problem“ wahrgenommen (bzw. „falsch“genommen).
Eine durch den Berater oder Coach scheinbare Wertschätzung dieses Erlebens folgt dann dem Muster „Das ist ja unter diesen Umständen gut nachvollziehbar, aber….„.
Dieses Vorgehen, bei dem a priori das Erleben und die Situation des Klienten als Stillstand und damit von vorneherein als negativ interpretiert wird (als Widerstand des Klienten), ist vom Wesen her ein Lösungsversuch 1. Ordnung (Paul Watzlawick), bei dem bisherige Lösungsmuster erneut angewendet werden (z.B. eine Unterscheidung in „gut“ vs. „schlecht“). Da auszugehen ist, dass der Klient in der Vergangenheit bereits ohne Erfolg diese Lösungsmuster angewendet hat (da er sonst nicht die Hilfe eines Coach aufsuchen würde), würde aller Voraussicht nach die Fortführung dieser Lösungsversuche im Coaching keine hilfreichen Impulse (nach Gregory Bateson einen Unterschied, der einen Unterschied macht) liefern.
Eine Veränderung der Wahrnehmung des Problems führt zu Lösungsansätzen 2. Ordnung, bei der die bisherigen Lösungsansätze durch andere Blickwinkel ergänzt werden (Lösungen 1. Ordnung und 2. Ordnung schließen sich nicht aus!). Lösungen 2. Ordnung erscheinen daher oftmals absurd, unerwartet und kontraintuitiv und wirken von ihrem Wesen her oftmals überraschend und paradox.
Andersartige Sichtweisen könnten sein, den Prozess der andauernden Stabilisierung einer Situation als fortwährender Anpassungsprozess an eine sich dauernd verändernde Umwelt anzusehen, was damit eine hoch dynamische Anpassungsleistung darstellt (also fern jeglicher Stagnation).
Aus dieser Perspektive heraus ergeben sich nun ganz neue Fragestellungen, beispielsweise ob es möglicherweise noch hilfreicher wäre, wenn in weiteren Bereichen eine zusätzliche Stabilisierung eintreten würde oder die bisherige Stabilisierung intensiviert werden würde (gewissermaßen mehr Stagnation) oder die Frage, wie es der Klient bewerkstelligt, die für den kontinuierlichen Anpassungsprozess notwendigen Ressourcen zu mobilisieren. Schließlich könnte in dieser Sichtweise eine länger andauernde Plateauphase auch Hinweise darauf liefern, dass erhaltenswerte Teilziele bereits erreicht wurden, die bei erneuter Veränderung möglicherweise gefährdet werden könnten.
Es entstehen somit neue Betrachtungsmöglichkeiten, aus denen sich wiederum neue Handlungsoptionen ergeben – der Handlungsspielraum vergrößert sich.
Systemische Beratungsansätze, die auf der Konstruktneutralität aufbauen, sollten daher nicht nur die Wirklichkeitskonstruktion des Klienten aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, sondern auch ihre eigenen Lösungsansätze danach befragen, ob sie Lösungen 1. oder 2. Ordnung darstellen.
Weiter mit Teil 2: Ein „Nein“ ist nur eine sehr schwache Form eines „Ja’s“