Buchbesprechung:
Fredrike P. Bannink (2017). Positive Supervision und Intervision.
Göttingen: Hogrefe Verlag, 237 Seiten, 34,95 €, ISBN: 9783801728045.
Selten hat mich ein Fachbuch direkt beim Aufschlagen angesprochen und begeistert. Dieses Buch ist eine dieser Ausnahmen! Beim ersten Durchblättern fand ich auf jeder der Seiten hilfreiche Formulierungen, Gedankengänge und Methoden, die ich direkt mit aktuellen Projekten und superivsorischen Prozessen gedanklich in Verbindung bringen konnte.
Die Autorin Fredrike Bannink (www.fredrikebannink.com) ist u.a. Klinische Psychologin, Dozentin und Trainerin in Unternehmen für Lösungs-fokussierte Gesprächsführung und Positive Psychologie, Mitbegründerin und Präsidentin der Abteilung für Lösungs-fokussierte Kognitive Verhaltenstherapie der Niederländischen Gesellschaft für Verhaltens- und Kognitive Therapie (VGCt) sowie Autorin der Bücher Praxis der Lösungs-fokussierten Mediation (2009, Stuttgart: Concadora Verlag), Praxis der Positiven Psychologie (2012, Göttingen: Hogrefe Verlag), Praxisbuch Positive KVT (2014, Weinheim: Belz) und Lösungsfokussierte Fragen. Handbuch für Lösungsfokussierte Gesprächsführung (2015, Göttingen: Hogrefe Verlag).
In ihrem neuen Buch „Positive Supervision und Intervision stellt sie den Ansatz der „Positiven Supervision und Intervision“ dar in Abgrenzung zu dem, was für sie „traditionelle“ Supervision und Intervision darstellt. Während bei letzterem der Schwerpunkt auf Problemen, Fehlentwicklungen, Stagnationen und Sackgassen liege, nehme die Positive Supervision/Intervision die Erfolge in den Blick, die Ressourcen, das, was gut läuft und weswegen es gut läuft und wie sich darauf im Weiteren aufbauen lässt.
Die Positive Supervision/Intervision ist kompetenzorientiert; Kompetenzen werden aufgespürt, um daran zu arbeiten, weiterzukommen und sich weiterzuentwickeln“. Der Supervisor verlässt die Rolle eines Experten, der Ratschläge gibt, sondern „stellt Fragen, um die Supervisanden dazu einzuladen, ihre eigene Expertise zu entdecken und optimal einzusetzen“ (S. 10).
Das Buch unterteilt sich in die beiden Bereiche „Theorie“ und „Praktische Anwendungen“, an denen sich zusätzliche Kapitel sowie ein Anhang anschließen.
„Theorie“ sollte dabei nicht „theoretisch“ im Sinne einer Abwesenheit von „Praxis“ bzw. „praktisch“ missverstanden werden. Da es (nach Kurt Lewin) nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie, werden die Konzepte und Ideen von „Supervision und Intervision“ hin zu „Positiver Supervision und Intervision“ mit Anekdoten, humorvollen Erzählungen, Fallbeispielen, Übungsvorschlägen (für den Supervisor) und Formulierungsvorschläge für Fragen (z.B. statt „was ist das Problem?“ lieber „Inwiefern ist das ein Problem?“) untermauert und nachvollziehbar dargestellt.
Das praktische Theoriekapitel ist kompakt und auf das Notwendige beschränkt, ohne zu oberflächlich zu sein. Es schließt mit der Darstellung der beiden Strömungen der Positiven Supervision/Intervision, nämlich der Positiven Psychologie (u.a. Seligman) sowie der Lösungsfokussierte Therapie (Milwaukee-Schule, De Shazer, Berg et al.). Hier wird u.a. auf die Lösungssprache (Kenner des Buches „MiniMax-Interventionen“ von Manfred Prior werden hier Ähnlichkeiten wiederfinden), die Bedeutung positiver Emotionen sowie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Positiver Psychologie und Lösungsfokussierter Therapie eingegangen.
Der zweite Teil des Buches, die „praktischen Anwendungen“ sind in ihrer Reihenfolge orientiert an einem supervisorischen Prozess bzw. den „vier Pfeilern der Positiven Supervision/Intervision“ und behandeln die Bereiche „Zielformulierung“, „Kompetenzen finden“, „weitere Fortschritte erarbeiten“ und „Reflexion“.
Die hohe Praxistauglichkeit des Theorieteils wird im Praxisteil fortgeführt – hier findet sich eine Fülle an Übungen, methodischen Interventionen, Gedankenanregungen und Erläuterungen für die Selbstreflexion des Supervisors, aber auch für die Arbeit mit den Supervisanden.
Ergänzt wird dies durch Kapitel zu „Folgegespräche“ „Superivsorische Allianz“ sowie weitere „Aspekte der positiven Supervision/Intervision“ (wie Supervisionsverträge, Audio-/Videoaufnahmen, Berichterstattung an Dritte oder Supervision/Intervision mittels Email und/oder Skype).
Ein Anhang mit Vorschlägen für Abläufe, einem Muster der Session Rating Scale (zur Einschätzung der Qualität der Sitzung durch Klienten) sowie eine umformulierte Version des Referenzformulars der niederländischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie und kognitive Therapie (VGCt). Dieses Referenzformular und die alternativen Formulierungsvorschläge (aus Sicht des Ansatzes der Positiven Supervision) beziehen sich auf eine Einschätzung zur Person des Supervisors, können meines Erachtens jedoch auch als Anregung zur Beschreibung und/oder Außendarstellung seiner eignen Arbeit als Supervisor dienen (z.B. statt „Der Supervisor wird persönliche Defizite des Supervisanden erkennen und thematisieren“ besser „…wird neben Defiziten vor allem die persönlichen Stärken und Kompetenzen des Supervisanden […] verstärken“).
Das Buch ist für mich vom Wesen her ein sehr gut gelungenes und hilfreiches Arbeitsbuch, welches ich gut in meine systemisch fundierte Arbeit integrieren kann und was mir auch zukünftig sicherlich immer wieder als Nachschlagewerk und als Impulsgeber für Anregungen und Ideen nützlich sein wird.
Stellenweise war für mich der Positive Blickwinkel und das Entwickeln von Veränderungs- und Lösungsoptionen zu einseitig und zu wenig selbstkritisch – dies mag jedoch auch an meiner Haltung liegen, da ich davon ausgehe, dass je nachdem zur Musterverstörung auch problemorientierte oder defizitorientierte Sichtweise hilfreich sein können, ohne das damit zwangsläufig eine Problemtrance induziert werden müsse. Auch weisen für mich die Haltungen der Allparteilichkeit und der Konstruktneutralität des Systemischen Ansatzes darauf hin, dass der Klient nicht direktiv durch den Supervisor in eine bestimmte Richtung manövriert werden soll; die Ressourcenorientierung ermöglicht es hier, z.B. das Erleben einer Stagnation als wertzuschätzenden Lösungsversuch zu betrachten, der nicht „weggemacht“ werden sollte (entsprechend wird an einer Stelle des Buches (S. 105) auch von „Stagnation aufbrechen“ gesprochen).
Die „Häufig gestellten Fragen und ihre Antworten“ haben meines Erachtens ebenfalls ihren Fokus teilweise darauf, den Gesprächspartner von seiner Problembetrachtung bzw. der Schilderung von erlebten Schwierigkeiten oder Leid „wegzubringen“, statt die Problemwahrnehmung selbst als Lösungsversuch zu betrachten.
Da das Buch jedoch auch den Positiven Ansatz der Supervision in seiner Unterschiedlichkeit zur „traditionellen“ Supervision darstellen möchte und eine ausgiebige Darstellung eines Prozessverlaufes vom Übergang einer Problemtrance zu einer Lösungstrance womöglich den Rahmen des Buches gesprengt hätte, tut die konsequente positive und lösungsfokussierte Darstellung der supervisorischen Arbeit der Qualität und dem Nutzen des Buches keinen Abbruch.
Da die Basis der Positiven Supervision/Intervision, so wie Frederike Bannink sie darstellt, u.a. im Systemisch-Lösungsfokussierte Ansatz nach De Shazer liegt (und die Positive Psychologie darüber hinaus Wesensmerkmale mit den Haltungen des Systemischen Ansatzes teilt), werden systemisch orientierte Supervisoren/Coaches mit ihren Haltungen der Ressourcenorientierung sowie dem Fokus auf Systemkonstellationen bzw. der Kontextsensibilität sich meines Erachtens gut in diesem Buch wiederfinden und die Anregungen, Ideen und Methoden gut in die Systemische Konzeption ihrer Arbeit integrieren können.
Supervisoren können das Buch mit seiner Darstellung eines vollständigen Positiv-Supervisorischen Prozesses als Entwurf für ihre eigene Arbeit nehmen und die dargestellte Reihenfolge der Abläufe auch in der Praxis anwenden (wenn der Kontext es erlaubt ;-). Es ist allerdings auch möglich, einzelne Elemente auszuwählen und sie mit einer „problemorientierten“ Vorgehensweise zu verbinden (Bannink schlägt auch vor, die Supervisanden zu Beginn zu fragen, ob sie lieber aus einer problemorientierten Sichtweise oder aus einer lösungsfokussierten Sichtweise heraus angesprochen werden wollen).
Alles in Allem ein nützliches und praktisches und dabei leicht zu lesendes Buch für Supervisoren und Coaches!
Stephan Druckrey
Coach, Supervisor, Facilitator
www.druckrey-coaching.de